Mittwoch, 8. Oktober 2025

Schnell gelesen, schnell gepostet – Der Konsumdruck in der Buchbubble






Dieser Beitrag steht schon länger in meinen Entwürfen und ich habe mir mal eine Liste gemacht mit offenen Rezensionen.
Rezensionen, die ich schon ewig vor mir her schiebe und wo ich inzwischen überlege, ob es noch sinnvoll ist sie zu schreiben. Denn viele Bücher habe ich vor Jahren gelesen und auch gar nicht mehr im Regal.

Doch dabei kam mir eine Frage auf: Lohnen sich die Rezensionen noch?
Wie viel Sinn hat noch eine Rezension, wenn ich das Buch vor einem Jahr oder zwei gelesen habe?
Oder sogar vor fünf Jahren, aber die Rezension nie fertig gestellt habe?
Wie lange darf ich mir Zeit lassen für eine Rezension?
Wie lange darf ich heute noch warten bis ein Buch uninteressant geworden ist, der Hyoe abgeklungen und der nächste Trend schon um die Ecke wartet?




Wenn Konsum zur Selbstinszenierung wird


„Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen.“

Dieser Satz fasst treffend zusammen: Der Konsum in der moderner Zeit wandelt sich zunehmend in ein Symbol für Status, Zugehörigkeit oder Selbstbild.
Etwas zu kaufen ist nicht mehr nur für sich selbst gedacht.
Es ist Drang nach Sichtbarkeit, Verbindung und Zugehörigkeit und das Bedürfnis nichts verpassen zu wollen.

Wie viel von dem, was wir konsumieren, ist wirklich „für uns“?
Und wie viel ist für „andere“?

Bestes Beispiel der aktuelle Trend „Boo Basket“. Ein schöner Korb voll mit kleinen Sachen, wie Socken, Gesichtsmaske, Augenpads, Schokolade, Tasse, Stofftierchen, Buch und und und.

Toll zusammengestellt und schön inszeniert, gleicht es einem Geschenkkorb, den man einer guten Freundin zum Geburtstag schenken würde. Nur dass wir ihn heute uns selbst machen und ihn online zeigen.

Und genau da liegt der Punkt:
Der Boo Basket ist kein persönliches Ritual, sondern ein inszenierter Moment.
Er steht für Selbstfürsorge, aber auch für performte Selbstfürsorge.
Für das Gefühl, mithalten zu müssen.

Denn wer keinen Boo Basket postet, verlost, geschenkt bekommt oder verschenkt, verpasst anscheinend etwas.


Konsum als Sprache der Zugehörigkeit


Social Media hat Konsum in eine Sprache verwandelt.
Wir sprechen durch Dinge, die wir besitzen oder zeigen.
Ein Boo Basket sagt: Ich gehöre dazu. Ich verstehe den Trend. Ich mache mit.

Und genau darin liegt das Paradoxon:
Was als Ausdruck von Individualität gedacht ist, wird zur Kopie eines Algorithmus.
Wir kaufen, um nicht abzufallen.
Wir zeigen, um nicht vergessen zu werden.
Und irgendwann wissen wir gar nicht mehr, ob uns das wirklich gefällt – oder ob wir nur gelernt haben, dass es so aussieht, als müsste es uns gefallen.

In der Buchszene sieht das nicht anders aus.
Book Hauls, ästhetische Bücherregale, TBR-Stapel in perfektem Licht – all das sind unsere Versionen des Boo Baskets.
Wir präsentieren, was wir lesen (oder lesen wollen), bevor wir überhaupt Zeit hatten, das Gekaufte zu verarbeiten.

Bücher kaufen und Bücher lesen sind zwei paar Schuhe.


Das eine ist sichtbar, das andere nicht.

Ein neuer Buchkauf lässt sich perfekt inszenieren: schönes Cover, gute Beleuchtung, ein ästhetisches Reel.
Es vermittelt Aktivität, Begeisterung, Zugehörigkeit.
Aber das Lesen selbst? Das ist leise. Langsam. Nicht immer fotogen.
Und es dauert.

Wir leben in einer Zeit, in der Aufmerksamkeit schnell verpufft. Bis wir ein Buch beendet und verarbeitet haben, ist der Trend schon weitergezogen.
Der Algorithmus will keine Gedanken, er will Nachschub.

Und genau hier liegt der Kern des Problems:
Der Konsum von Büchern hat in Teilen den Inhalt der Bücher verdrängt.
Es geht weniger um die Geschichte als um den Moment, sie zu besitzen oder zu zeigen, dass man sie besitzt.

Denn viele Buchliebhaber:innen geraten genau dadurch in Zweifel:
Wir lieben Bücher, wir wollen sie unterstützen, aber gleichzeitig füttern wir damit ein System, das Geschwindigkeit über Tiefe stellt.

Diese Schnelllebigkeit führt dazu, dass kaum ein Buch wirklich die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient.
Kaum ist ein Titel erschienen, wird er vom nächsten großen Hype überrollt.
Was heute auf jeder Startseite und in jedem Reel zu sehen ist, verschwindet morgen schon wieder in der Flut der Neuerscheinungen.
Nicht, weil die Bücher schlecht wären , sondern, weil niemand mehr die Zeit hat, alles zu lesen, geschweige denn, alles zu würdigen.

Die Vielfalt, die eigentlich ein Geschenk sein sollte, wird so zur Überforderung.
Zu viele Titel, zu viele Meinungen, zu viele To-Read-Listen.

Was darf man überhaupt noch zeigen?


Konsum hört nicht beim Geld ausgeben auf.
Er prägt auch, wie wir uns verhalten. Denn wer ständig sichtbar sein will, muss auch gefällig bleiben.
Zwischen „Ich liebe dieses Buch!“ und „Das war enttäuschend.“ liegt heute oft mehr als eine Meinung.
Es ist die Angst, aus dem Algorithmus oder der Community zu fallen, keinen Anschluss zu finden und nicht gesehen zu werden.

Jeder Post, jede Buchpräsentation wird zu einer Gratwanderung.
Darf man jedes Buch zeigen oder besprechen?
Was passiert, wenn ein Buch kontroverse Themen oder problematische Autor*innen hat?

In Zeiten, wo Autor:innen problematisch sind mit ihren Geschichten, Werbung oder Ansichten (J. K. Rowling ist nur ein extremes Beispiel), wird man selbst schon als problematisch betrachtet, wenn diese Bücher nur sichtbar im Regal stehen.
Für Videos oder Fotos werden diese nach unten gepackt. Aus den Augen, aus dem Bild. Eine Selbstzensur, um nicht anzuecken.

Bewusst oder unbewusst zensieren wir uns selbst, um in der öffentlichen Wahrnehmung „richtig“ zu wirken.
Denn im Netz wird schnell geurteilt. Ein Post, ein falsches Wort, ein falscher Titel und schon entsteht ein völlig anderes Bild.

In der Buchblogszene gibt es vor allem einen Wert, der immer mehr an Trend gewinnt: Bleib positiv und schweige lieber, statt ehrlich zu sein.

Wir wollen unsere Meinung teilen, sichtbar sein, mitreden, gerade als Stimmen in einer Szene, die so oft von Harmonie, Zusammenhalt und „Good Vibes Only“ lebt.
Und doch sind es oft genau wir, die uns selbst zum Schweigen bringen.
Weil wir gelernt haben, dass Ehrlichkeit aneckt.
Dass Kritik schnell als „Drama“ und „Problem“ gilt.
Wir sagen nichts, um niemanden zu verletzen.
Wir bleiben positiv, um dazuzugehören.
Wir schweigen, obwohl wir eigentlich etwas zu sagen hätten.

Wir wollen alles richtig machen, niemandem auf die Füße treten, alles möglichst sensibel formulieren bis am Ende die eigene Stimme wieder verschwindet.

In meinem Beitrag Mode-Buchblogger, Kritik & Co. – Wenn Buchbloggen zur Farce wird habe ich ausführlicher zu dem Thema geschrieben.


Content first

Rezensionsexemplare häufen sich, Lesemonate werden zu Leistungsstatistiken, und zwischen Trendtiteln und Re-Reads bleibt oft wenig Raum für das eigentliche Lesen.
Das, was früher ein Rückzugsort war - ein Hobby, ein Moment nur für sich –, wird zunehmend zu einer Bühne.


Bücher als Statusobjekte

Neben dem Inhalt eines Buches zählen inzwischen Aufmachung, Coverdesign, Editionen oder Erscheinungsform (Hardcover, limitierte Ausgaben, Schmuckausgaben). Ein schön gestaltetes Cover oder eine wertige Ausgabe kann als Visitenkarte dienen.


Inszenierte Regale & „Shelfies“

Die dekorative Präsentation der Bücher ist fast schon ein Must-Have: Fotos von perfekt arrangierten Regalen, abgestimmten Farbpaletten oder thematischen Bookstacks dominieren viele Posts. Nicht selten verschwimmt dabei die Grenze zwischen gelebter Lektüre und dekorativer Schau.


Unboxing & Hauls als Performance

Immer wieder hoch im Kurs sind Unboxing-Videos oder „Was ist neu im SuB?“-Beiträge. Der Akt des Erwerbs, des Auspackens, das Zeigen der Titel… all das wird zur Performance. Es geht nicht allein um das Lesen, sondern ums Erleben, Sichtbarmachen und Teilen.



Der Druck zu „hochwertigem“ Posten
Gesehen werden heißt oftmals: hochwertig posten. Filme, Lichterketten, Requisiten, passende Hintergründe. Nicht jedes Buchfoto soll einfach nur den Inhalt zeigen, sondern eine Stimmung, ein Mood, ein Lifestyle vermitteln. Der Druck, ein ästhetisch ansprechendes Feed zu haben, ist real.


Wenn Rezensionen zum Pflichtprogramm werden
Rezensionen werden geschrieben, nicht weil sie wollen, sondern „müssen“.

Manchmal fühlt es sich fast so an, als müsste jede Lektüre sichtbar sein, um wirklich zu zählen.

Weniger Konsum, mehr Auswahl
Nicht jeder neue Titel muss sofort gekauft werden. Lesen ist kein Zwang zur Anschaffung.

Klarheit über Motivation
Vor jedem Post oder jeder Anschaffung: kurz überlegen: Warum poste ich das gerade? Wird es meine Leseerfahrung bereichern oder mein Profilbild aufhübschen?

Diskurs öffnen
In der Community (im Blog, auf Instagram, in Lesegruppen) den Austausch suchen: Wie gehen andere mit dem Druck um? Gibt es Strategien, sich freizuhalten von „was man soll“?


Qualität vor Quantität
Weniger Beiträge, die aber dafür tiefer gehen, können nachhaltiger Eindruck hinterlassen als viele ästhetische Bilder ohne Tiefe.

Bücher sind für mich Entspannung, Bildung, Flucht, manchmal Herausforderung.
Aber sie sind kein Mittel, mich über andere zu definieren.

Wenn ich ein Buch nicht rezensiere, heißt das nicht, dass es mir egal war. Vielleicht war es einfach zu viel – zu alt, zu schwierig, zu privat. Vielleicht wollte ich es einfach nur lesen, ohne es in Worte zu fassen.


Vielleicht darf man sich ab und zu fragen:
Für wen mache ich das eigentlich? Für mich, oder für die Sichtbarkeit?
Ich glaube, es ist völlig okay, nicht jedes Buch zu rezensieren.
Nicht jedes Buch zu zeigen.
Es ist genauso okay, mal eine Kurzmeinung zu posten oder gar nichts.
Weil Bloggen – trotz allem – kein Wettbewerb ist.
Weniger Inszenierung, mehr Echtheit.
Weniger Perfektion, mehr Persönlichkeit.




0 comments:

Kommentar veröffentlichen

Hallo!

Danke, dass du diesen Blogeintrag gefunden und gelesen hast - Lass mir doch einen Kommentar da!